Bauherr – Stadt Offenburg
Ort – Offenburg-Waltersweier
Landschaftsarchitekten – Bernd Meier und Martin Schedlbauer (faktorgruen)
Verkehrsplanung – Florian Krentel (Fichtner Water & Transportation)
Tiefbau – Tomislav Maras (Weiß Ingenieure)
© by dörr & irrgang Architekten und Generalplaner GmbH
Städtebauliche Identität des Ortes
Offenburg-Waltersweier ist geprägt von einer zwar offenen Struktur der Baukörper, im Gesamtbild aber ist Waltersweier ein geschlossen bebautes Dorf mit unregelmäßigen Grundstücksformen und häufig unterschiedlich großen Höfen: ein sog. Haufendorf. Historisch waren solche Ortschaften meist von einem Ortsetter (Hecke) umgeben. Haufendörfer unterscheiden sich von den meisten anderen Dorfformen dadurch, dass sie unplanmäßig angelegt wurden. Für die Planung eines neuen Quartiers gilt es, eine den heutigen Anforderungen entsprechende wirtschaftliche Struktur zu erstellen, ohne im Gesamtbild der „harmonischen Unordnung“ einen Bruch entstehen zu lassen.
städtebauliche Gesamtidee
Der Zuwachs an neuen Einwohnern und die Nähe zur Ortsmitte wird genutzt, diese Mitte zu beleben und für Gesamt-Waltersweier positiv zu wirken. Unsere Arbeit schlägt eine neue, lineare Wegeverbindung vom Südrand des Spitalbühnds in Richtung Rathaus und damit eine attraktive Anbindung an die Haltestelle „Ortsmitte“ vor. Die bestehende Allee an der Freihofstraße und die neue Wegeverbindung bilden eine kraftvolle und kommunikative Mitte. Folgend auf die streng angelegte Mitte, arrondiert das Wohnquartier „Spitalbühnd“ den bestehenden Ortsetter: eine zum Ortskern hin verdichtete und geordnete Struktur löst sich zum Ortsrand hin auf und die privaten Grünräume gehen in den Landschaftsraum über.
Einfügen in die bestehenden Strukturen
Waltersweier zeichnet sich durch eine kleinteilige, offene Bebauung aus. In kurzen Abschnitten sind gliedernde Ordnungsprinzipien erkennbar, ohne ein übergreifendes Ordnungsprinzip auszubilden. Somit wird dem neuen Ortsteil Spitalbühnd zwar eine klare Erschließungs- und damit Orientierungsstruktur gegeben, entlang dieser aber werden die Ordnungsprinzipien durch kleine Variationen scheinbar wieder aufgelöst. Der Entwurf rundet die „städtebauliche Körnung“ des Ortes ab.
Gebäudeorientierung
Die Gebäude sind fast ausnahmslos für eine optimale Nutzung regenerativer Energien mit nach Süden orientierten Dachflächen vorgeschlagen. Entlang der Haupterschließungsstraße stehen somit die Gebäude – typisch für die Ortenau – giebelständig. Im Gegenzug kommen den Wohnstraßen und Gärten die niedrigeren Gebäudeproportionen der Traufseiten zu Gute.
Freiflächen und Regenwasserbewirtschaftung
Das Regenwasser der geneigten Dachflächen wird zusammen mit dem Wasser der öffentlichen Straßen über offene Pflasterrinnen mit 0,5 % bis 1 % Gefälle in Richtung Haupterschließungsstraße geführt und unter dieser hindurch in den Hauptregenwasserlauf eingeleitet. Entlang der gartenseitigen Grundstücksgrenzen sammelt ein weiterer Regenwassergraben in gleicher Weise das Wasser der gartenseitigen Dachflächen. In den bestehenden Hauptentwässerungsgraben wurden bisher wenige Gebäude und in Teilen die angrenzenden Felder entwässert. Durch die Einleitung von Regenwasser von den versiegelten Dach- und Straßen-Flächen fällt die Wassermenge höher aus. Wir empfehlen daher eine teilweise „Renaturierung“ der Bachlaufs als verzögerndes Element und den Anschluss der westlichen Grundstücke an einen neuen Graben, der zur allfälligen Entwässerung des südlichen Wohnquartiers und der verbleibenden Felder nötigt ist.
Anbindung an das vorhandene Wegenetz
PKW
Das Quartier ist zu zwei Drittel von Süden über die Schäffersheimer Straße und zu einem Drittel von Norden mit dem PKW erschlossen. Von Süden kommend wird der Verkehr kurz in Richtung Osten gelenkt und führt dann entlang des bereits bestehenden Entwässerungsgrabens nach Norden. An diesem neuen Rückgrat der Erschließung beginnen die vier Wohnstraßen. Wir schlagen diese Straßen als Spielstraßen (Zone 325) vor. Der PKW-Verkehr endet als Zielverkehr jeweils auf den privaten Grundstücken. Die westlichen Enden dieser Straßen sind über eine räumliche Erweiterung als Wohnhöfe ausgebildet, welche wiederum untereinander durchgehend für Fußgänger und Radfahrer verbunden sind. Statt Wendeplatten am Ende der Wohnstraßen sind jeweils zwei Straßen über einen befahrbaren Stichweg verbunden: Müllfahrzeugen müssen somit nicht wenden und die Adressen sind im Havariefall redundant erreichbar. Falls beispielsweise die Reihenhäuser keine Parkierung in den eigenen Erdgeschosszonen anbieten, können entlang der Stichwege Carports erschlossen werden. Sie treten somit nicht im Straßenraum in Erscheinung und es wird auf die Ausbildung von Garagenhöfen verzichtet.
Fußgänger und Radfahrer
Zur Belebung des Ortskerns und Stärkung des ÖPNVs ist nördlich des Ortschaftsrathauses eine Hauptachse für Fußgänger und Radfahrer ausgebildet. Sie verknüpft die Wege des Quartiers mit den Wegen zum Kindergarten, Spielplatz und zum Ortskern selbst. Die neue Achse ist eine attraktive Wegeverbindung zur Haltestelle „Waltersweier Ortsmitte“ an der Römerstraße. Für diese Wegeverbindung wird vorgeschlagen, das private Grundstück westlich des Ortskerns gegen ein Grundstück am Bachlauf zu tauschen.
Stellplatzkonzept
Die Grundstücke weisen jeweils 1 Stellplatz je Wohneinheit nach. Die privaten Einzel- und Doppelhausgrundstücke ermöglichen aber zumeist das Parkieren eins zweiten PKWs. Die Stellplätze der Mehrfamilienhäuser sind in Tiefgaragen nachgewiesen. Als wirtschaftlich sinnvolle Lösung teilen sich jeweils 2 bis 3 Gebäude eine TG-Zufahrt.
Die nötige Anzahl an öffentlichen Stellplätzen ist entsprechend der Dichte der Wohneinheiten verteilt im Quartier nachgewiesen. Eine Reihe von Senkrechtparkern vor den südlichen Mehrfamilienhäusern wird hierbei zum sicheren Holen- und Bringen der Kita-Kinder genutzt.
Wirtschaftlichkeit
Die vorgeschlagene städtebauliche Struktur weist ein Verhältnis von 70,26% privaten zu 29,74 % öffentlichen Flächen aus. Die vorgeschlagenen Wohnstraßen/Wohnhöfe bieten neben dem Verkehrsweg auch eine Aufenthaltsqualität und Raum für nachbarschaftliche Begegnung. Sie sind durch ihre Doppelfunktion einen wirtschaftlicher Faktor.
Integration des Geschosswohnungsbaus
Der angebotene Geschosswohnungsbau ist ortstypisch als offene Bauform angelegt. Die Mehrfamilienhäuser konzentrieren im Süden des Quartiers. Die hier entstehende, höhere Einwohnerdichte hilft, die öffentlichen Freiflächen in der Ortsmitte zu beleben und bietet eine attraktive Erreichbarkeit des öffentlichen Personennahverkehrsnetzes.
Qualität der privaten und öffentlichen Freiräume
Eine öffentliche Platzfläche fasst die Gebäudegruppe aus Rathaus und den Jugend- und Vereinsräumen zusammen. Die Innenräume der Dorfgemeinschaft erhalten somit eine Entsprechung im Außenraum. Hier finden Feste, Märkte und alle Veranstaltungen des öffentlichen Begegnens statt. Dieser Dorfplatz/Bürgergarten ist über einen neuen Grünzug entlang der bestehenden Alle mit der offenen Landschaft verbunden. Eine neue, zweite Alle führt vom Dorfplatz in das Wohnquartier Spitalbühnd. Entlang des renaturierten Wasserlaufs führt ein Fußweg unter Baumgruppen zu den Wohnstraßen. In den Wohnstraßen rhythmisieren Einzelbäume den Straßenraum und entschleunigen den PKW-Verkehr und bilden am Ende der Straße als lockere Baumgruppe den Ort der Begegnung im Wohnhof. Jeder Wohnhof erhält mit einem „Fenster in die Landschaft“ einen informellen Zugang zum Landschaftsraum.
Die vorgeschlagene Struktur der privaten Grundstücke entspricht den moderaten Flächenvorgaben der Auslobung. Typischer Weise stehen in einem Dorf die Gebäude eher dicht und in gerader Struktur zur Straße. Die somit gewonnen Flächen kommen der Qualität der privaten Gärten zu Gute.
Umsetzbarkeit des Konzepts
Nach Anlegen der Grund-Infrastuktur im Süden und Osten des neuen Quartiers werden die Wohnstraßen – je nach Nachfrage – abschnittsweise oder in Einem umgesetzt. Die Einteilung der Grundstücke entlang der geradlinigen Struktur kann hierbei situativ entschieden werden. Zur Belebung der Ortsmitte einerseits und Auflockerung des Ortsetters andererseits schlagen wir vor, über das Kooperationsmodell die kleinen Wohnformen vornehmlich an den Rändern und die verdichteten Wohnformen vornehmlich an den zu belebenden, öffentlichen Räumen zu vergeben.
Integration des städtebaulichen Konzepts in die Landschaftsökologie
Die Umwandlung von landwirtschaftlichen Flächen zu Siedlungsflächen erhöht zwangsläufig den Versiegelungsgrad und ist auf der Grundlage landschaftsökologischer, sozialer, ökonomischer und technischer Erkenntnisse entwickelt. In positiver Weise fördern hierbei die privaten und öffentlichen Grünflächen die Artenvielfalt besser, als dies bewirtschaftete Felder ermöglichen. Sie stellen somit im Vergleich ökologisch wertvolle Flächen dar. Zum Erhalt des Landschaftsbildes strukturiert sich das Quartier mittels Gebäuden und der Erschließung von einer gleichsam urbanen Verdichtung mit offenen Strukturen hin zum Landschaftsraum. Es erreicht durch seine niedrigen und offenen Randstrukturen den für Walterweier typischen Übergang auf die Felder.
Baumpflanzungen im Quartier und die offene Regenwasserführung stellen eine klimatische Verbesserung zur Kompensation der versiegelten Flächen dar.
Wir bedanken uns für die Beauftragung und wünschen dem Projekt viel Erfolg.